Der Mann in schwarz

Auf dem Weg vom Büro nach Hause überhole ich einen redenden Mann. Beim Vorbeilaufen stelle ich fest, dass er gar nicht telefoniert, sondern mit sich selbst redet. Soll er, schadet nicht.

Als ich kurz vor der Wohnung um die Ecke biege, kommt ein zweiter, der vor sich hin redet. Denke ich. Bis ich feststelle, dass er mich anschreit. Meine Nachbarn, ja meine Nachbarn, denen könnte ich mal sagen, dass das nicht lustig wird, wenn er vorbei kommt. Ich mag unsere Nachbarn und bin mir ziemlich sicher, dass die beiden keinerlei Kontakt zu dem vollkommen schwarz gekleideten und deutlich alkoholisierten Mann haben. Leider beeinträchtigt der Alkohol nur seine Sprache, nicht aber seine Treffgenauigkeit, wie er mit einem Schlag gegen den Außenspiegel eines geparkten Autos unter Beweis stellt. Er wird noch lauter, dass die Frau das Auto demoliert hat. Und ich könnte die Polizei rufen, es gibt Zeugen, ich wäre das gewesen. Zeugen gibt es leider nicht. Und damit auch niemand, der mir zur Seite stehen könnte.

Wobei das mit dem „zur Seite stehen“ sowieso eher theoretischer Natur ist, ich bin 1,83 Meter lang und verfüge über ausreichend Körpermaße, um nicht als dünn zu gelten – da geht man davon aus, dass ich Koffer alleine ins Gepäcknetz heben und mich gegen Irre auch selber wehren kann.

Und merkwürdige Menschen ziehe ich an. Deshalb wende ich einen erprobten Trick an: Ich bleibe stehen und lasse den Mann weiter laufen. Vielleicht vergisst er mich. Und wenn nicht, habe ich einen festen Stand, kann die Handtasche fallen lassen und versuchen, mich an das zu erinnern, was ich beim Jiu Jitsu vor hundert Jahren gelernt habe.

Er geht weiter. Und bleibt beim Gebrauchtwagenhändler stehen, um mit jemandem zu diskutieren. Ich nutze die Gelegenheit, wechsel die Straßenseite und werde schneller. Nicht schnell genug, er ist wieder neben mir und ich verfluche mich. Warum habe ich die Straßenseite mit Restaurant, Friseur etc. gegen eine eingetauscht, auf der nur Wohnhäuser sind?

An der Bushaltestelle scheucht er zwei Frauen zur Seite und bleibt dort. Ich werde noch schneller und bin im Haus. Und in der Wohnung.

Und dann rufe ich die Polizei an. Obwohl ich finde, dass die wegen viel zu kleiner Kleinigkeiten gerufen werden. Weshalb ich auch die Dienststelle Rüttenscheid anrufe, was natürlich Quatsch ist, weshalb die mich an die Leitstelle verbinden.

Der Herr am anderen Ende ist erst skeptisch, das mich der Mann bedroht hätte. Ich sage ihm, dass er sehr nah gekommen ist, ein Auto demoliert hat und geschrien hat, dass ich das wäre. Dass ich das als Bedrohung empfinde. Wahrscheinlich rufen da ständig hysterische Frauen an, ich kann es ihm nicht verdenken. So, wie meine Stimme zittert und sich überschlägt, würde ich mich auch für hysterisch halten. Ich sage ihm dann, dass es mir ehrlich gesagt ziemlich egal wäre, da ICH jetzt in der Wohnung wäre, dass der Typ aber Menschen anpöbelt und gerade eine Mülltonne auf die Straße tritt (was ich aus einem unserer Fenster sehen kann). Er sagt, dass er die Kollegen schickt und ob ich den Mann beschreiben könnte. Kann ich. Der ist auffällig.

Die Kollegen kommen. Sehr schnell, aber leider zwei Sekunden, nachdem der Mann den Bus bestiegen hat. Kurze Zeit später klingelt mein Handy. Die Leitstelle. Ein anderer Polizist. Ich sage, dass der Mann im Bus ist. Er sagt, dass er da mal lieber die EVAG anfunkt. Und ob ich sagen könnte, bei welchem Auto der Mann den Außenspiegel demoliert hat. Meine Stimme ist wieder ruhig, dafür fallen mir weder Straßennamen noch Autofabrikate ein, ich hangel ihn an Punkten entlang, bis er weiß, wo das Auto steht. Er bedankt sich bei mir und ich mich bei ihm dafür, dass die Kollegen so schnell da waren.

Und dann hab ich Schüttelfrost und hoffe, dass der Mann in schwarz zu betrunken ist, um sich morgen an mich zu erinnern und daran, wo ich wohne.

2 Gedanken zu „Der Mann in schwarz

  1. Nessy

    Meist passiert ja nichts, gerade bei betrunkenen Pöblern nicht. Aber bedrohlich ist es trotzdem.
    Aber richtig gehandelt. So ist auch für den geschädigten Autobesitzer wenigstens aktenkundig, was passiert ist.

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    1. Sandra Beitragsautor

      Meist passiert wirklich nichts. Aber das war nicht der Typ „Ich hab einen über den Durst getrunken“, sondern eher eine daueragressive Nummer. Das mit dem Auto ist richtig – und außerdem ist er dann schon mal der Polizei „bekannt“. Der wirkte nicht so, als ob es das erste oder einzige Mal ist, dass er so ist.

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