Archiv der Kategorie: Lesen

Karl Ove Knausgård (Paul Berf): Sterben

Band 1 eines autobiografischen Projektes in sechs Bänden in denen Knausgard mit den Widrigkeiten der Realität kämpft.

Worum es geht

Die Schwierigkeit einer Inhaltsangabe von „Sterben“ ist: Eigentlich geht es um Nichts – und doch um so viel. Zum Beispiel um die Beziehung von Knausgard zu seinem Vater. Es geht um den Tod seines Vaters, um Knausgards Beziehung zu seinem Bruder. Chronologisch sind diese Erinnerungen nicht, Knausgard springt hin und her in seinem Leben. Dabei schont er weder sich noch seine Familie. Der Alkoholismus des Vaters (und der Zustand des Hauses, in dem er zum Schluss gelebt hat), die scheinbare Überlegenheit seines Bruders Yngve, alle Schwächen werden offengelegt und bis ins Kleinste geschildert.

Sterben ist das erste Buch einer sechsbändigen Serie, die im norwegischen Original „Min Kamp“ heißt. Ein Titel, der aus offensichtlichen Gründen in Deutschland so nicht ging. Ins Deutsche übersetzt wurden mittlerweile «Sterben», «Lieben», «Spielen» und «Leben».

Wie es gefällt

Meist hat man das Gefühl, Ereignisse in Echtzeit zu lesen, über unendlich viele Seiten streckt sich Beschreibung, wie er mit einem Kumpel und zwei Tüten Bier Silvester verbringt. Und dennoch: Es ist nicht langweilig, Knausgard beim Leben und beim Darüber philosophieren „zuzuschauen“. Es ist sogar so faszinierend, dass ich die 576 Seiten durchaus zügig weggelesen habe. Worin die Faszination liegt,kann ich allerdings nicht beschreiben. Ein bisschen scheint es wie bei einem Unfall zu sein, bei dem man nicht wegschauen kann. Oder einer Reality-Show, die einen in den Bann zieht.

Ob diese Faszination auch die restlichen Bände von Knausgards Biografie anhalten wird, kann ich auch nicht vorhersehen. Ich werde es aber berichten.

Karl Ove Knausgård (Paul Berf): Sterben*
Luchterhand Literaturverlag
10,99 Euro (Taschenbuch)

Dieses Buch wurde mir vom Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Auf den Inhalt dieser Rezension hat der Verlag und/oder der Autor dieses Buches keinen Einfluss genommen.

*Affiliate Link, gibt es aber auch beispielsweise bei Proust in Essen

Philipp Meyer: Der erste Sohn

170 Jahre Familiengeschichte oder: Die Historie Texas am Beispiel der Familie McCollough.

Worum es geht

Erzählt wird die ereignisreiche Geschichte, in der es an Indianern, Mexikanern und Siedlern nicht mangelt, am Beispiel von Vertretern der Familie McCullogh aus drei Generationen. Der Grundstein für den Familienreichtum wurde von Eli McCullogh gelegt, auch wenn es in seinen jungen Jahren nicht danach aussah: Seine Familie wurde von Indianern überfallen und seine Mutter und seine Geschwister getötet. Er selber wurde entführt und verbrachte drei Jahre bei den Indianern.

Sein Sohn Peter ist das klare Gegenteil seines Vaters und leidet vor allem unter seiner Ehe und dem Massaker, was seine Familie an den mexikanischen Nachbarn verübt hat.

Jeanne Anne, die Enkelin Peters schlägt dagegen wieder ganz nach ihrem Urgroßvater: Sie wird jung für Farm und Öl zuständig und führt erfolgreich ein Imperium.

Wie es gefällt

Neugierig wurde ich auf das Buch vor allem, weil es als „Epos“, der „in die Literaturgeschichte eingehen“ wird gepriesen wurde. Tatsächlich handelt es sich um einen hervorragend recherchierten dicken Schinken, ob es um Siedlungsgeschichte geht oder um Sitten und Gebräuche der Indianer – man lernt viel dazu. Vieles möchte man vielleicht nicht unbedingt lernen, an der einen oder anderen Stelle hat sich mir durchaus der Magen umgedreht. Trotz der Schilderung aus der Perspektive der Familie McCollough wird nicht wirklich Partei ergriffen, sowohl Mexikaner, Indianer als auch Weiße haben gestohlen, gemordet und vergewaltigt und ihnen wurde das selbe angetan. Die Geschichte der Sklaven dagegen wird nur weitläufig gestreift.

So interessant das Buch oft ist, hat es dennoch Längen. Jeanne Ann liegt gefühlt Jahre ihres Lebens auf dem Boden herum und fragt sich, was passiert ist und Peter schwadroniert in seinem Tagebuch ziemlich herum.

Mehr als einmal musste ich zu dem (glücklicherweise vorhandenen) Stammbaum blättern, weil durch die verschiedenen Zeitebenen der Erzählung einiges durcheinander gerät. Dazu kommt ein verwirrendes Ende, sehr offen, neue Personen …

Durchaus ein interessantes Buch – von einem „gewaltigen Panorama“ würde ich jedoch nicht sprechen. Und ob es in die Literaturgeschichte eingeht, wird sich in 20 bis 50 Jahren zeigen.

Bonusmaterial

Warum heißt das Buch eigentlich „Der erste Sohn“? Ich habe lange gegrübelt und den Stammbaum der Familie zu Rate gezogen. Vielleicht weil alle ersten Söhne früh versterben? Ich weiß es nicht. Im Englischen heißt es „The Son“.

Philipp Meyer (Hans M. Herzog): Der erste Sohn*
Albrecht Knaus Verlag
24,99 Euro (gebundene Ausgabe)

Dieses Buch wurde mir vom Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Auf den Inhalt dieser Rezension hat der Verlag und/oder der Autor dieses Buches keinen Einfluss genommen.

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Monika Czernin: Das letzte Fest des alten Europa

„Der Herr im Haus bin ich! Das Hotel Sacher, das bin ich!“

Worum es geht

Mit 33 Jahren übernahm Anna Sacher nach dem Tod ihres Mannes das von ihrem Schwiegervater gegründete Hotel Sacher (der auch die berühmte Torte erfand). Unter ihrer Führung wird das Hotel zu einem der berühmtesten Häuser in Europa, in dem Prominente und Adelige ein und aus gehen.

Jedes Kapitel der Roman-Biographie ist einem anderen Gast gewidmet, unter anderem gehen Kronprinz Rudolf, Kaiserin Elisabeth, Arthur Schnitzler und Gustav Mahler im Hotel Sacher ein und aus. Dabei mischt Czernin oft historische Fakten mit Fiktion – zu wenig tatsächliche Quellen sind vorhanden, als dass man eine „echte“ Biographie schreiben könnte.

Anna- Maria Sacher mit ihren "Sacher-Bullys" (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei)

Anna- Maria Sacher mit ihren „Sacher-Bullys“ (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei)

Wie es gefällt

Monika Czernin schafft ein lebendiges Bild von Anna Sacher und ihrem Hotel. Glanz und Untergang werden interessant erzählt – macht Spaß zu lesen und vermittelt trotzdem viel Wissen über das Ringstraßen-Wien von der Gründerzeit bis in die 1920er Jahre.

 
Monika Czernin: Das letzte Fest des alten Europa: Anna Sacher und ihr Hotel*
Albrecht Knaus Verlag
19,99 Euro

 

Dieses Buch wurde mir vom Verlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Auf den Inhalt dieser Rezension hat der Verlag und/oder der Autor dieses Buches keinen Einfluss genommen.

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Enzo Fileno Carabba (Birte Völker): Wie zwei alte Schachteln versehentlich die Welt retteten

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Zwei Prinzessinnen verlassen nach Jahrzehnten ihren Palazzo

Worum es geht

Giulia und Camilla sind zwei in die Jahre gekommene Grand Dames, die in einem Palazzo in Florenz residieren. Diesen verlassen sie nur Donnerstags zu einem Besuch der Leseveranstaltung. Lebensmittel erhalten sie – wenn auch in minderer Qualität – vom Metzger Emiliano, der verlässliche Piero versorgt sie mit Zaubertrank, nach dessen Genuss sich ihre Aquarienfische in ihre verstorbenen Ehemänner verwandeln. Das Haus zu verlassen gibt es keinen Grund – bis Piero nicht mehr auftaucht und der Zaubertrank zur Neige geht. Und plötzlich müssen die Damen vier Leichen entsorgen und Florenz droht in den Fluten zu versinken. Weiterlesen

Bücher 2/2015

Ein weiterer Schwung Lektüre. Ein paar Bücher, ein paar Hörbücher und tatsächlich zwei Bücher, die ich nicht zu Ende gelesen habe.

Paul Glaser (Eva Schweikart/Barbara Heller): Die Tänzerin von Auschwitz

Während eines Besuchs in Auschwitz entdeckt Paul Glaser einen Koffer aus den Niederlanden mit dem Namen „Glaser“. Gegen den Widerstand seines Vaters macht er sich daran, die Geschichte seiner Tante zu erforschen, die Auschwitz überlebt hat. Sehr gutes Buch, bei dem sich die Geschichte von Tante Rosie mit den Nachforschungen von Paul abwechseln.

Lisa Tetzner: Die Schwarzen Brüder

Giorgio lebt im Tessin – bis es seiner Familie so schlecht geht, dass sie ihn als Kaminkehrer-Jungen nach Mailand verkaufen. Schon der Weg dorthin ist nicht leicht und in Mailand ergeht es Giorgio auch nicht besonders gut, bis er bei der Kaminkehrerbande der Schwarzen Brüder aufgenommen wird und dem Doktor begegnet.

Da habe ich mir aus Versehen ein Kinderbuch gekauft. Für Erwachsene nicht unbedingt eine Empfehlung, aber durchaus für (ältere) Kinder. Lisa Tetzner war übrigens mit Kurt Kläber verheiratet, der „Die Rote Zora“ schrieb.

Hannah Kent (Leonie Reppert-Bismarck): Das Seelenhaus

Island 1828: Die Magd Agnes wird des Mordes an zwei Männern angeklagt und soll die Zeit bis zu ihrer Hinrichtung auf dem Hof eines Beamten verbringen. Im Laufe der Zeit vertraut sie sich nicht nur einem Vikar immer mehr an, auch die Frau des Beamten erhält Einblicke in die Wahrheit. Nicht so spannend, wie ich erst vermutet hatte, hat mich aber dennoch gefesselt.

Kathy Reichs (Klaus Berr): Knochen lügen nie

Tempe Brennan, die forensische Anthropologin hat einen neuen Fall, bei dem sie einer alten „Bekannten“ begegnet. Richtig schlecht ist Kathy Reichs nie, allerdings scheint ihr bei diesem Buch ein wenig die Spannung ausgegangen zu sein. Es geht viel um die Familie von Brennan, der Fall plätschert dagegen eher vor sich hin.

Dominique Bona (Katrin Seebacher/ Una Pfau): Gala: Ein Leben

Helena Dimitrijewna Djakonowa kommt aus Russland in die Schweiz, um ihre Tuberkulose auszukurieren und lernt im Sanatorium Paul Éluard kennen. Sie nennt sich Gala, heiratet den Dichter, bekommt eine Tochter, hat ein Verhältnis mit Max Ernst und verlässt schließlich Mann und Kind für Salvador Dalí. Gala lebt durch ihre Männer – sie geht in ihnen so weit auf und unterstützt sie, dass keine wirkliche Eigenständigkeit – außer einem ausgeprägten Hang zur Theatralik – erkennbar ist. In ihrer Biographie versammelt sie aber interessante Persönlichkeiten und Zeiten.

Hörbücher

Nick Hornby (Ingo Herzke/Isabel Bogdan): Miss Blackpool

Barbara wird zur Miss Blackpool gewählt. Allerdings nimmt sie den Titel nicht an, sondern zieht lieber nach London, wo sie über einige Umwege der Star einer Fernsehshow wird. Sehr nette Geschichte, die so vor sich hin plätschert (positiv gemeint), dass die 16 Stunden Hörbuch wie im Flug vergingen. Ich war ein bisschen traurig, als es vorbei war.

José Saramago: Die Reise des Elefanten

Der Elefant Salomon wird samt seines Mahut von Johann III., König von Portugal, Großherzog Maximilian geschenkt und macht sich auf den Weg von Lissabon nach Wien. Eine reale Geschichte, in der aber nicht so sehr die eigentliche Reise eine Rolle spielt, sondern die Eigenheiten des Elefanten und der Menschen. Kann man sehr schön als Hörbuch hören, als Buch wäre es mir vermutlich zu langatmig gewesen.

Fredrik Backman (Stephanie Werner): Ein Mann namens Ove

Ove geht jeden Morgen eine Kontrollrunde durch sein Wohngebiet und auch sonst fällt er nicht unbedingt als angenehmer Mensch auf. Eigentlich möchte Ove aber nur eines: Endlich zu seiner Frau Sonja, die vor einem halben Jahr verstorben ist. Alle seine Versuche zu sterben scheitern aber – und Schuld daran ist oft seine neue Nachbarin. Ganz nebenbei erfährt man dann Oves Geschichte. Sehr sehr gutes Hörbuch, bei dem man oft lachen kann, aber auch nachdenklich wird. Die Beschreibungen der Geräusche, die Ove macht sind weitere kleine Highlights.

Karen Köhler: Wir haben Raketen geangelt

Erzählungen, die einen mitnehmen – in mehrfacher Hinsicht. Es geht um Verlust, um Liebe, um Tod. Nachdenklich und trotzdem so, dass man zwischendurch schmunzeln muss. Keine leichte Kost aber eine, die sich lohnt.

Rebecca Gable: Jonah Teil 1 – 3

Jonah Durham arbeitet sich vom Kaufmannsgesellen zum Bürgermeister von London hoch, hilfreich unterstützt von der englischen Königin. Nett zu hören.

Marc Twain: Meine geheime Autobiographie

Wegen Harry Rowohlt als Vorleser und wegen der sehr klugen Überlegungen und Erzählungen von Marc Twain sehr gut – auch, wenn es teilweise wie Stückwerk wirkt.

Jürgen von der Lippe: Beim Dehnen singe ich Balladen

Kein Hörbuch im eigentlichen Sinne, sondern eher ein gemeinsames Bühnenprogramm mit Carolin Kebekus und Jochen Malmsheimer. Ich habe sehr viel gelacht.

 

Abgebrochen

Normalerweise lese ich Bücher bis zum Ende. Auch, wenn ich sie nicht so toll finde. Nur in ganz seltenen Fällen wird „abgebrochen“ – umso erstaunlicher, als dass es jetzt bei gleich zwei Büchern hintereinander passiert ist.

Uwe Tellkamp: Der Turm: Geschichte aus einem versunkenen Land.

Ich habe nicht wirklich herausgefunden, worum es geht. Ich dachte, es geht um eine Familie in Dresden, kurz vor der Wende. Und da ich nach Dresden gefahren bin, habe ich mir „Der Turm“ ausgeliehen. Nach knapp 200 Seiten habe ich aufgegeben. Nichts passiert, dafür eine völlig verschwurbelte Sprache – das hätte ich nicht 800 weitere Seiten ausgehalten.

Lutz Seiler: Kruso

Ed wurde von Freundin und Kater verlassen, schmeißt sein Studium und macht sich auf nach Hiddensee. Vermutlich geht es auch noch weiter, aber auch hier: Ohne mich. Es war mir einfach alles zu anstrengend, die Bewertungen bei Amazon treffen die Lage meiner Meinung nach ganz gut.

(Alle Buchtitel sind Amazon Affiliate-Links)

Christina Baker Kline : Der Zug der Waisen

Cover_Zug der Waisen

Die Geschichte eines Orphan Train-Kindes

Worum es geht

In den 1920er Jahren kommt Vivian mit ihrer Familie von Irland nach New York. Bald schon kommt aber ein Teil der Familie bei einem Brand ums Leben, ihre Mutter ist verschollen. Mit einem „Waisenzug“ wird Vivian in den Mittleren Westen geschickt, wo sie von ihren Pflegefamilien ausgenutzt und schlecht behandelt wird. Weiterlesen

Regina Scheer: AHAWA – Das vergessene Haus

Auf dem Weg zu Mogg & Melzer in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule in der Berliner Auguststraße, bin ich ein Stück zu weit gelaufen. Ich stand also vor einem dieser Häuser in Mitte, die noch nicht saniert sind, über deren Fenster Plakate von Konzerten geklebt wurden und die auch sonst ziemlich heruntergekommen aussehen. Weiterlesen

Rocko Schamoni: Fünf Löcher im Himmel

Ein Seesack voller Klamotten, eine Pistole und sein Tagebuch aus Jugendzeiten sind alles, was Paul nach 67 Lebensjahren noch bleibt, als er seine Wohnung verliert. Er wird ein wenig durch Hamburg gespült, landet schliesslich in Pockes Kneipe, der ihm Wellensittich Wolfgang und Auto anvertraut, weil er auf Weltreise gehen will. Die Weltreise dauert kürzer als geplant und so gehen Paul und Pocke gemeinsam auf (ziemlich ereignisreiche) Tour. Außerdem versucht Paul, zu seiner Jugendliebe Kontakt aufzunehmen, die nicht nur in seinem Tagebuch und einem Theaterstück vor 50 Jahren eine entscheidende Rolle gespielt hat. Weiterlesen

Volker Kutscher: Märzgefallene

Gereon Rath feiert in Köln Karneval, während in Berlin ein Ereignis mit schwerwiegenden politischen Folgen stattfindet: Der Reichstag brennt. Die Berliner Polizei widmet sich fortan mit aller Kraft der Verfolgung von „Kommunisten“. Das berührt auch Raths aktuellen Fall, den Mord an einem Obdachlosen, aus dem eine ganze Mordserie entsteht. Raths Ermittlungen führen zurück bis in den ersten Weltkrieg und zu einem unterschlagenen  Goldschatz. Weiterlesen