Archiv der Kategorie: Musik

Americana-Album der Woche (5) – Johnny Cash: Bootleg, Vol. 2: From Memphis to Hollywood

Nach den posthum veröffentlichten American Recordings-Alben „A Hundred Highways“ (2006) und „Ain’t No Grave“ (2010) folgt mit „From Memphis to Hollywood“ (Vol. 2) ein wahrer Leckerbissen für Fans und Neuentdecker. Wer Cash noch nicht kennt, lernt ihn während seines Auftritts mit den Tennessee Two (Luther Perkins an der E-Gitarre und Marshall Grant am Bass)  als beflissenen Werbeansager für eine „Home Equipment Company“ in Memphis während einer gesponserten Radiosendung kennen und bekommt somit eine Ahnung, warum Cash bereits Mitte der 50er Jahre  mit nahezu allen Finessen versehen war, um Country, Rock’n’Roll, Rockabilly und Blues in jene unverwechselbare Chick-A-Boom-Melange zu gießen, die bis heute Bestand hat.   Weiterlesen

Americana-Album der Woche (4) Matraca Berg – The Dreaming Fields

Oft fragt man sich, warum man am falschen Ort zur falschen Zeit ist. Diesmal war ich am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Nämlich in Nashville, im Station Inn, am 26.5.2011, 21 Uhr.  Rund 14 Jahre sind vergangen, nachdem ihr letztes Album „Sunday Morning to Saturday Night“ floppte und sich die Ausnahmesängerin aufs Songschreiben konzentrierte. Matraca Berg stellte vor Familie, Freunden und Fans ihr neues Album „The Dreaming Fields“ vor. Das innige  „Station Inn“, neben dem Blue Bird Cafe „der“ Club in Nashville für handgemachte Musik, erlebte einen Abend voller Vibrations und Gänsehaut. Begleitet von Sideman-Legende Dan Dugmore (Pedal Steel Guitar, E-Gitarren), David Henry (Cello, Backing Vocals), Gretchen Peters und Suzy Bogguss (Backing Vocals) demonstrierte Matraca Berg (Akustikgitarre, Mundharmonika) trotzig und anmutig ihre Songwriter-Kunst. Die Dichte und Atmosphäre ihrer Songs, die zurückhaltend instrumentierten Geschichten – selten habe ich bei einem Konzert jeden einzelnen Ton so genossen. Jeff Hanna, Ehemann und Kopf der Nitty Gritty Dirt Band, gesellte sich hin und wieder hinzu und zu guter Letzt reihte sich auch noch Kim Carnes mit ihren unverkennbaren Harmony Vocals ein. Das Album, bei Dualtone erschienen, vereint 11 großartige Songjuwelen, die sie größtenteils mit anderen Wegbegleitern geschrieben hat. Was ihre Songs so außergewöhnlich machen, sind die überraschenden Phrasierungen, die kurz ins Mark stechen und ihre Spuren hinterlassen, sind die markanten Lyrics, die für immer und ewig im Kopf schwirren. Ob „South of Heaven“ als Kommentar zum Afghanistan-Krieg oder der Abschiedssong „The Dreaming Fields“ – Berg berührt und kratzt die Seele wie kaum eine andere. Das gilt mit Nachdruck für „Oh Cumberland“, geschrieben vor unendlich langer Zeit auf dem LA Freeway, wo nach frustierenden Studiosessions im Jahre 1992 ihr Heimweh so groß wurde  und sie den anrührendsten aller Heimweh-Songs der Ewigkeit überlassen hat.  

Oh Cumberland (Matraca Berg feat. Nitty Gritty Dirt Band)

South of Heaven (Matraca Berg, Gretchen Peters, Suzy Bogguss

Von morgen an bis zum 22. Juni ist Matraca Berg auf Tour durch das Vereinigte Königreich. Wer noch nichts besseres vorhat, und das ist schwerlich vorzustellen, dem sei der Trip auf die Insel empfohlen. Immerhin spielt sie am 21.6. in der Queen Elizabeth Hall in London. http://www.matracaberg.com/tour/  Nach Deutschland kommt sie nicht. Schade!

Americana-Album der Woche (3): Tristen mit ihrem Debutalbum ‘Charlatans At The Garden Gate‘

Greetings from Nashville

Das Cover dieser auf ‘American Myth‘ (!) erschienenen LP der 28-jährigen Singer-Songwriterin Tristen Gaspadarek aus Chicago, mittlerweile in Nashville ansässig, erinnert auf den ersten Blick an die Südsee-Bilder von Gauguin. Die Musik: Durchweg eingängige Folk-Pop-Songs (zwei davon hat Tristen gemeinsam mit Caitlin Rose geschrieben), eine tolle und vielseitige Stimme und feine Arrangements. Immer wieder kommt ein Cello dazu, da eine Ukulele und dort ein Vibraphon. Nie zu viel, nie zu süßlich. Das verhindern schon die mehrdeutigen, nicht selten psychodramatischen Texte in Songs wie ‘Matchstick Murder‘, ‘Doomsday‘ oder ‘Baby Drugs‘. In drei Stücke kann man vorab auf der myspace-Seite der Künstlerin (www.myspace.com/tristentristen) rein hören. Darunter auch der LP-Opener ‘Eager For Your Love‘, der als Single ausgekoppelt wurde, sowie der Non-Album-Track ‘Cheatin‘. Ein anschließender Kauf dieses Erstlingswerks wird hiermit empfohlen. Tristen, eine weitere Bereicherung der momentan stilistisch überbordenden Musikszene Nashvilles. We’ll be watching closely.

‘Matchstick Murder‘: www.youtube.com/watch?v=KCd1BsUuWKk&feature=related

Americana-Album der Woche (2) Kathleen Edwards – Asking For Flowers

Asking For Flowers, bereits 2008 erschienen, gehört zu jenen Alben, die sich bei jedem weiteren Hören mehr und mehr erschließen und in das emotionelle Gedächtnis des Zuhörers einweben. Die kanadische Songschreiberin und Sängerin mit ihrer kraftvoll zerbrechlichen Stimme entwirft mit ihrem dritten Album ein Breitbandepos atemberaubender Gefühle und menschlicher Abgründe. Ihre Geschichten, eingebettet in einen originären Bandsound  (E-Gitarre, Pedal Steel, Schlagzeug/Percussion, Bass, Klavier, Orgel) reichen von den  Enttäuschungen des Alltags bis hin zu Themen sozialer Ungerechtigkeit (Oh Canada). Ein Song, der sich auf immer in der imaginären Top Ten verewigt hat: Alicia Ross. Die wahre Geschichte der 25-jährigen Kanadierin, die August 2005 von ihrem langjährigen Nachbarn nach einem Streit auf grausame Weise ermordet und in einem Gebiet nördlich von ihrem Haus vergraben wurde, entführt den Zuhörer Stück für Stück in die surreal anmutende Welt der Banalität des Bösen. Aus der Ich-Perspektive der Getöteten beschreibt Kathleen Edwards  minutiös ihre letzten Gedanken und beginnt mit: „I am a girl with a forgettable face, no matter my color, no matter my name…. Die fünf Wochen dauernde Suche nach dem plötzlichen mysteriösen Verschwinden beschäftigte wie kaum ein anderer Fall die kanadische Öffentlichkeit. Nach einem weiteren über die Medien verbreiteten Appell der Stiefmutter meldete sich eine Woche später Alicia Ross‘  Nachbar Daniel Sylvester mit seinem Anwalt bei der Polizei und führt sie zu deren Überresten.  Bei der Gerichtsverhandung gab er an, es kam vor dem Haus zu einem Streit und sie hätte ihn als „Loser“ beschimpft. Daraufhin verlor er die Beherrschung und schlug ihren Kopf auf den Bürgersteig, bis sie tot war. Mehr als 1500 Menschen nahmen in der Beth Emeth Bais Yehuda Synagogue in North York  Abschied von ihr. Der Song endet mit der Zeile: „Now I’m a girl whose face they’ll never forget.“ Daniel Sylvester wird zu lebenslänglich verurteilt. Totschlag das Gerichtsurteil.  Kathleen Edwards – Alicia Ross

Americana-Album der Woche (1): Buddy Miller’s The Majestic Silver Strings

Was herauskommt, wenn Sideman of the Year (Rolling Stone) Buddy Miller einige Musikanten in seine  vier Wände einlädt, demonstrieren eindrucksvoll die 13 Songs des durchweg gelungenen Albums. Bill Frisell, Marc Ribot, Greg Leisz und Buddy Miller an den Saiten, mal elektrisch, mal akustisch, mal eine Brise Pedal Steel, führen traumwandlerisch und irritierend schön durch eine handverlesene Auswahl amerikanischer Klassiker. Mit Jay Bellerose (Schlagzeug) und Dennis Crouch (Bass) ist ein Americana-Soundtrack besonderer Güte entstanden. An vier Tagen im Januar 2010 auf einer 16-Spur-Bandmaschine aufgenommen, entführen die elegisch-betörenden Songs in eine  Nische amerikanischer Musik, die hierzulande nur wenig Beachtung findet. Vor allem sind es die wunderbaren Gaststimmen, die den Songs einen besonderen Stempel aufdrücken: Emmylou Harris, Patty Griffin, Ann McCrary, Marc Anthony Thompson, Julie Miller, Lee Ann Womack und Shawn Colvin. Anspieltipp mit hohem Gänsehautfaktor:  „That’s The Way Love Goes“ von dem unvergessenen Lefty Frizell, intepretiert von Shawn Colvin.  Die beigefügte 22-minütige DVD gewährt intime Einblicke in diese außergewöhnliche Produktion und macht Lust auf mehr.

http://www.youtube.com/watch?v=DDM6nnDdJ4U