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Americana-Album der Woche (12) – Amelia Curran: Hunter, Hunter (2009)

Nachdem wir in der vergangenen Ausgabe Paul Simons neues Album vorgestellt haben, geht es diese Woche um eine hierzulande nahezu unbekannte Singer/Songwriterin aus St. Johns, Neufundland, Kanada. Hier, an diesem kalten, unwirtlichen Ort, beginnt der Trans-Canada Highway No.1. Und er könnte die Kulisse für dieses außergewöhnliche Album bieten. „Hunter, Hunter“, bereits 2009 erschienen, ist das zweite Werk bei Six Shooter Records und insgesamt ihr viertes. „Hunter, Hunter“ bestätigt die außergewöhnliche Gabe der Sängerin mit der sonoren Stimme, Geschichten mit Tiefgang und leicht groteskem Anstrich zu erzählen.

Das folkige Album besticht nicht zuletzt durch eine sparsame Instrumentierung. Die akustische Gitarre wird angereichert durch Dobro, Bouzouki, auch mal ein French Horn, Akkordeon, Posaune, Klavier, Bass, Schlagzeug und Percussion. Die Songs überzeugen in ihrer Instrumentierung durch Einfachheit und Klarheit und strahlen zugleich eine unglaubliche Präsenz aus. Die textliche Ebene ist hier wesentlich komplexer und lässt dem Zuhörer ein breites Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten. Der Opener „Bye, Bye, Montreal“ versieht auf faszinierende Weise angelsächsische Folkkunst mit franko-kanadischem Anstrich. Und es könnte durchaus eine Hommage an Leonhard Cohen sein. Oder auch nicht: hinhören und den durchweg kurzen Songs aufmerksam lauschen. Die kühler werdenden Abende laden hierzu ein. Das Album ist mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem „Juno Award for Best Roots and Traditional Album of 2009“, dem kanadischen Grammy. Sehr empfehlenswert!

Amelia Curran – Bye, Bye Montreal

Amelia Curran – Hands on a Grain of Sand

Americana-Album der Woche (11) – Paul Simon: So Beautiful or So What (2011)

Eigentlich sollten an dieser Stelle nur Alben von Musikern vorgestellt werden, die in den hiesigen Breitengraden kaum oder gar nicht bekannt sind. Das aktuelle Album von Paul Simon „So Beautiful or So What“ macht aber hier eine Ausnahme! Denn alle Lobeshymnen bestätigen das durchweg gelungene Singer/Songwriter-Werk des Altmeisters. Die zehn Songperlen (zwischen 1:36 und 4:18 Länge) knüpfen an der Idee an, ein in sich stimmiges Album zu kreieren. Paul Simon hat kein Hexenwerk vorgelegt, sondern sich schlicht und einfach auf seine Songwriter-Qualitäten besonnen. Anstatt wie bei seinen letzten Werken die Songs um Rhythmen und Loops herumzustricken, schlägt er hier den umgekehrten Weg ein: eine Gitarre, ein Bleistift und ein Blatt Papier. Anspieltipp ist gleich das furios startende und mitreißende „Getting Ready for Christmas Day“. Und auch die Vielzahl der Musiker und die sich daraus überraschend ergebenen Instrumentierungen nehmen den Hörer vom ersten Ton mit. Fazit: Mein Sonntag-Morgen-Album der nächsten Wochen. Das Vinyl-Album ist (nicht nur in diesem Fall) fraglos der CD vorzuziehen, weil sie nicht nur in einer sehr guten Qualität daherkommt, sondern auch mit einem Gratis-Download angereichert ist – und jetzt aufgepasst! – nicht etwa in MP3-, sondern in Audio-Qualität inklusive eines Live-Tracks des Titelsongs. In Kauf nehmen muss man dann zwar den Download von rund 1,5 GB – aber in der entsprechenden Qualität. Und da bald Weihnachten und auf der Platte ein Weihnachtslied ist….

Paul Simon – So Beautiful or So What

Paul Simon – So Beautiful or So What

Americana-Album der Woche (10): Black Prairie – Feast Of The Hunters Moon

Das mystisch anmutende Black Prairie-Debüt „Feast of the Hunters Moon“, bereits Frühjahr 2010 erschienen, ist das Ergebnis einer besonders reizvollen Kollaboration: Jenny Conlee-Drizos (Akkordeon, Vocals), Chris Funk (Dobro, Bouzouki and Weissenborn) und Nate Query (Cello, Bass) von den Decemberists und die beiden aus Portland (Oregon) stammenden (Folk-)Musikern Jon Neufeld (Archtop Guitar, Vocals) und Annalisa Tornfelt (Geige, Vocals). Weiterlesen

Americana-Album der Woche (8) – The Wailin‘ Jennys: Bright Morning Stars (2011)

Das kanadische Trio The Wailin‘ Jennys hat mit ihrem dritten Studioalbum „Bright Morning Stars“ wieder ein äußerst stimmiges und vor allem stimmgewaltiges Werk vorgelegt. Ohne Übertreibung gehört „Bright Morning Stars“ zu den Sternstunden des Country Folk und kann als musikalischer Leckerbissen zum opulenten Frühstück am späten Sonntagmorgen gereicht werden. Weiterlesen

Americana-Album der Woche (7) – Lori McKenna: Lorraine

Hierzulande ist die aus Boston stammende Singer/Songwriterin nahezu unbekannt. Dass sie aber zur Crème de la Crème der Songwriterzunft (in Nashville) gehört, steht auf einem anderen Blatt. „Lorraine“, 2011 auf Signature Records erschienen, ist ihr sechstes Album, das sie ihrer Mutter gewidmet hat. Lori McKenna (1968 geboren) war sieben als sie starb. Die tief in die Seele gebrannten Kindheitserinnerungen inspirierten sie zu diesem Album. Mühelos knüpft es an die Vorgänger an und legt die Latte wieder ein wenig höher. Von Beginn an zieht die Geschichtenerzählerin ihre Zuhörer in einen Bann, denn Lori McKenna schaut genau hin und weiß intuitiv, worin das Außergewöhnliche und Abseitige im Alltag zu finden ist. Autobiographisch inspirierte Balladen natürlich, mit Verve und Energie instrumentiert, mal zerbrechlich, mal wütend, mal mit einer Brise Humor. Gegossen in ein verhalten und dennoch kraftvoll instrumentiertes Korsett aus akustischen und elektrischen Gitarren, Mandoline, Cello, Bass, Schlagzeug, Percussion und Keyboards, angereichert durch feinfühlig gesetzte Harmony Vocals, hinterlassen die 13 Songs Gefühlswallungen zwischen Resignation, Innehalten und Aufbruch. Einen Song besonders hervorzuheben fällt schwer, denn jeder ist es wert, aufmerksam gehört zu werden. Gleichwohl: „American Revolver“ ist die Geschichte einer von ihrem Ehemann missbrauchten Ehefrau, die über seinen baldigen Tod nachsinnt.
Lori McKenna ist eine Entdeckung für alle, die jenseits der konventionellen Singer/Songwriter-Kost einen ungetrübten Blick auf den amerikanischen Lebensstil erhaschen wollen – mit einem lachenden und einen weinenden Auge. Viel Spaß beim Entdecken!

Weitere Informationen unter: http://www.allmusic.com/artist/lori-mckenna-p360793
http://lorimckenna.com/
Lori McKenna – How Romantic is That? (2007)

Americana-Album der Woche (6) – Alison Krauss and Union Station: Paper Airplane

Sieben Jahre ist es her, seit dem das letzte Album von Alison Krauss and Union Station erschienen ist und den ausweglosen Titel „Lonely Runs Both Ways“ (2004) trug.  Die wunderbar betörende Melodie des Openers „Gravity“ blieb im Ohr und fand seine Steigerung in der Kollaboration „Raising Sand“ (2007) zwischen der Ausnahmesängerin und -geigerin und dem Led Zeppelin-Urgestein Robert Plant. Auch die anderen Saitenvirtuosen (Barry Bales – Acoustic  Bass, Jerry Douglas – Dobro/Weissenborn/Lap Steel, Dan Tyminski – Gitarre/Mandoline, Ron Block – Banjo) waren nicht minder aktiv und pflegten ihre Side- und Soloprojekte.  

„Paper Airplane“ knüpft lückenlos an seinen Vorgänger an, auch wenn die Band gereift ist. Die handverlesenen Songs, ob neu geschrieben oder klug adaptiert, werden in einem luftigen Gewand dargeboten, das Raum zum Atmen lässt: kein Solo zu lang, kein Ton zu viel, die Harmony Vocals dezent gesetzt. Aufgeräumt und trotzdem intensiv: Dass hier fünf eigensinnige und feinfühlige Musiker zusammen spielen, ohne sich gegenseitig den Schneid abzukaufen, unterstreicht den Ausnahmestatus dieser Band. Obwohl hier sehr viel Routine mit im Spiel ist, wirkt das Album wie aus einem Guss und nimmt den beseelten Zuhörer unaufdringlich mit, den nachdenklichen, manchmal traurigen Geschichten zu folgen. Alison Krauss and Union Station ist zurück, obwohl die Band mit ihrem unverwechselbaren Acoustic Americana Bluegrass Sound ja nie wirklich weg war. Im Sommer 2009 spielten sie auf Einladung von Barack Obama gar im Weißen Haus und zelebrierten eindrucksvoll, was für sie zeitgenössische Country Music bedeutet: meilenweit entfernt von dem Country-Pop einer Taylor Swift. So hätte das Album auch den Titel  „No Concessions“ tragen können. Anspieltipp: My Opening Farewell, geschrieben von Jackson Browne. Wenn das mal nicht der Anfang vom Abschied von dieser wunderbaren Combo bedeutet…

Alison Krauss – Paper Airplane 2011.04.13 Letterman

Americana-Album der Woche (5) – Johnny Cash: Bootleg, Vol. 2: From Memphis to Hollywood

Nach den posthum veröffentlichten American Recordings-Alben „A Hundred Highways“ (2006) und „Ain’t No Grave“ (2010) folgt mit „From Memphis to Hollywood“ (Vol. 2) ein wahrer Leckerbissen für Fans und Neuentdecker. Wer Cash noch nicht kennt, lernt ihn während seines Auftritts mit den Tennessee Two (Luther Perkins an der E-Gitarre und Marshall Grant am Bass)  als beflissenen Werbeansager für eine „Home Equipment Company“ in Memphis während einer gesponserten Radiosendung kennen und bekommt somit eine Ahnung, warum Cash bereits Mitte der 50er Jahre  mit nahezu allen Finessen versehen war, um Country, Rock’n’Roll, Rockabilly und Blues in jene unverwechselbare Chick-A-Boom-Melange zu gießen, die bis heute Bestand hat.   Weiterlesen

Americana-Album der Woche (4) Matraca Berg – The Dreaming Fields

Oft fragt man sich, warum man am falschen Ort zur falschen Zeit ist. Diesmal war ich am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Nämlich in Nashville, im Station Inn, am 26.5.2011, 21 Uhr.  Rund 14 Jahre sind vergangen, nachdem ihr letztes Album „Sunday Morning to Saturday Night“ floppte und sich die Ausnahmesängerin aufs Songschreiben konzentrierte. Matraca Berg stellte vor Familie, Freunden und Fans ihr neues Album „The Dreaming Fields“ vor. Das innige  „Station Inn“, neben dem Blue Bird Cafe „der“ Club in Nashville für handgemachte Musik, erlebte einen Abend voller Vibrations und Gänsehaut. Begleitet von Sideman-Legende Dan Dugmore (Pedal Steel Guitar, E-Gitarren), David Henry (Cello, Backing Vocals), Gretchen Peters und Suzy Bogguss (Backing Vocals) demonstrierte Matraca Berg (Akustikgitarre, Mundharmonika) trotzig und anmutig ihre Songwriter-Kunst. Die Dichte und Atmosphäre ihrer Songs, die zurückhaltend instrumentierten Geschichten – selten habe ich bei einem Konzert jeden einzelnen Ton so genossen. Jeff Hanna, Ehemann und Kopf der Nitty Gritty Dirt Band, gesellte sich hin und wieder hinzu und zu guter Letzt reihte sich auch noch Kim Carnes mit ihren unverkennbaren Harmony Vocals ein. Das Album, bei Dualtone erschienen, vereint 11 großartige Songjuwelen, die sie größtenteils mit anderen Wegbegleitern geschrieben hat. Was ihre Songs so außergewöhnlich machen, sind die überraschenden Phrasierungen, die kurz ins Mark stechen und ihre Spuren hinterlassen, sind die markanten Lyrics, die für immer und ewig im Kopf schwirren. Ob „South of Heaven“ als Kommentar zum Afghanistan-Krieg oder der Abschiedssong „The Dreaming Fields“ – Berg berührt und kratzt die Seele wie kaum eine andere. Das gilt mit Nachdruck für „Oh Cumberland“, geschrieben vor unendlich langer Zeit auf dem LA Freeway, wo nach frustierenden Studiosessions im Jahre 1992 ihr Heimweh so groß wurde  und sie den anrührendsten aller Heimweh-Songs der Ewigkeit überlassen hat.  

Oh Cumberland (Matraca Berg feat. Nitty Gritty Dirt Band)

South of Heaven (Matraca Berg, Gretchen Peters, Suzy Bogguss

Von morgen an bis zum 22. Juni ist Matraca Berg auf Tour durch das Vereinigte Königreich. Wer noch nichts besseres vorhat, und das ist schwerlich vorzustellen, dem sei der Trip auf die Insel empfohlen. Immerhin spielt sie am 21.6. in der Queen Elizabeth Hall in London. http://www.matracaberg.com/tour/  Nach Deutschland kommt sie nicht. Schade!

Americana-Album der Woche (3): Tristen mit ihrem Debutalbum ‘Charlatans At The Garden Gate‘

Greetings from Nashville

Das Cover dieser auf ‘American Myth‘ (!) erschienenen LP der 28-jährigen Singer-Songwriterin Tristen Gaspadarek aus Chicago, mittlerweile in Nashville ansässig, erinnert auf den ersten Blick an die Südsee-Bilder von Gauguin. Die Musik: Durchweg eingängige Folk-Pop-Songs (zwei davon hat Tristen gemeinsam mit Caitlin Rose geschrieben), eine tolle und vielseitige Stimme und feine Arrangements. Immer wieder kommt ein Cello dazu, da eine Ukulele und dort ein Vibraphon. Nie zu viel, nie zu süßlich. Das verhindern schon die mehrdeutigen, nicht selten psychodramatischen Texte in Songs wie ‘Matchstick Murder‘, ‘Doomsday‘ oder ‘Baby Drugs‘. In drei Stücke kann man vorab auf der myspace-Seite der Künstlerin (www.myspace.com/tristentristen) rein hören. Darunter auch der LP-Opener ‘Eager For Your Love‘, der als Single ausgekoppelt wurde, sowie der Non-Album-Track ‘Cheatin‘. Ein anschließender Kauf dieses Erstlingswerks wird hiermit empfohlen. Tristen, eine weitere Bereicherung der momentan stilistisch überbordenden Musikszene Nashvilles. We’ll be watching closely.

‘Matchstick Murder‘: www.youtube.com/watch?v=KCd1BsUuWKk&feature=related

Americana-Album der Woche (2) Kathleen Edwards – Asking For Flowers

Asking For Flowers, bereits 2008 erschienen, gehört zu jenen Alben, die sich bei jedem weiteren Hören mehr und mehr erschließen und in das emotionelle Gedächtnis des Zuhörers einweben. Die kanadische Songschreiberin und Sängerin mit ihrer kraftvoll zerbrechlichen Stimme entwirft mit ihrem dritten Album ein Breitbandepos atemberaubender Gefühle und menschlicher Abgründe. Ihre Geschichten, eingebettet in einen originären Bandsound  (E-Gitarre, Pedal Steel, Schlagzeug/Percussion, Bass, Klavier, Orgel) reichen von den  Enttäuschungen des Alltags bis hin zu Themen sozialer Ungerechtigkeit (Oh Canada). Ein Song, der sich auf immer in der imaginären Top Ten verewigt hat: Alicia Ross. Die wahre Geschichte der 25-jährigen Kanadierin, die August 2005 von ihrem langjährigen Nachbarn nach einem Streit auf grausame Weise ermordet und in einem Gebiet nördlich von ihrem Haus vergraben wurde, entführt den Zuhörer Stück für Stück in die surreal anmutende Welt der Banalität des Bösen. Aus der Ich-Perspektive der Getöteten beschreibt Kathleen Edwards  minutiös ihre letzten Gedanken und beginnt mit: „I am a girl with a forgettable face, no matter my color, no matter my name…. Die fünf Wochen dauernde Suche nach dem plötzlichen mysteriösen Verschwinden beschäftigte wie kaum ein anderer Fall die kanadische Öffentlichkeit. Nach einem weiteren über die Medien verbreiteten Appell der Stiefmutter meldete sich eine Woche später Alicia Ross‘  Nachbar Daniel Sylvester mit seinem Anwalt bei der Polizei und führt sie zu deren Überresten.  Bei der Gerichtsverhandung gab er an, es kam vor dem Haus zu einem Streit und sie hätte ihn als „Loser“ beschimpft. Daraufhin verlor er die Beherrschung und schlug ihren Kopf auf den Bürgersteig, bis sie tot war. Mehr als 1500 Menschen nahmen in der Beth Emeth Bais Yehuda Synagogue in North York  Abschied von ihr. Der Song endet mit der Zeile: „Now I’m a girl whose face they’ll never forget.“ Daniel Sylvester wird zu lebenslänglich verurteilt. Totschlag das Gerichtsurteil.  Kathleen Edwards – Alicia Ross