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Wie ich einen schönen Tages einen Klavierbauer auf dem Friedhof traf

Eigentlich hatte ich mich für eine Führung über die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor angemeldet, die aber wegen mangelndem Interesse nicht stattfand. Der Mann riet mir, meine Freizeitaktivitäten mehr nach Mainstream-Gesichtspunkten auszusuchen. Ich ging alleine auf den Friedhof.

Von der angeblich Karten mit eingezeichneten Grabstellen verkaufenden Blumenhändlerin wurde ich regelrecht aus dem Laden geworfen. Sie verkaufe natürlich keine Karten und sie wisse auch nicht, wer so etwas behauptet.

Ich wanderte also alleine über den Friedhof und las mir unbekannte Namen. Irgendwann wurde ich endlich fündig – Mendelssohn-Bartholdy samt ausgedehnter Familie. Nun fehlte mir noch E.T.W. Hofmann zu meinem Glück, dann konnte ich wenigstens ein kleines Erfolgserlebnis mit nach Hause nehmen. Als ich versuchte, aus einem Schaukasten irgendetwas herauszulesen, sprach mich ein Mann an, ob ich ein bestimmtes Grab suche. Ja, Hofmann liege die Richtung, aber er könne mir schon mal so ein paar Sachen zeigen. Mendelssohn-Bartholdy „kannte“ ich ja jetzt schon, neben ihm Fanny Hensel. Vor Mendelssohn-Bartholdy befindet sich das Grab von Professor Hilsdorf, Direktor der Sing-Akademie Berlin. Auf dem Kreuz befinden sich hinten Auszüge der Matthäus-Passion (wenn ich mich recht erinnere).

An einem weiteren Mendelssohn-Grab wies mich mein Begleiter auf die allgegenwärtigen Knospen hin- Schlafmohn als Zeichen des ewigen Schlafes. Auf dem Grab selbst symbolisierte ein Bienenkorb den Stand des Bankiers– „fleißig wie die Bienen“. Hierzu pass auch das Grab des Sexualforscher Westphal, einem angeheirateten Verwandten Mendelssohns.

Weitere Geschichten zu weiteren Gräbern erzählte mir mein Begleiter, der sich als Klavierbauer herausstellte, „im ersten Leben Winzer, weil von der Mosel“: Die von Oskar Huth, der im Dritten Reich Lebensmittelkarten und Pässe fälschte und so Juden die Flucht ermöglichte. Die von den Begründern der Berliner Aids-Hilfe, einem Mathematiker (mit einem Habakus als Grabstein) und einem Apotheker.

Vorbei an Gräbern von Hutschenreuther, Siemens, Schering und Co. endlich zu E.T.W. Hofmann. Der sich im Leben E.T.A. nannte, angeblich aus Verehrung gegenüber Mozart. Man munkelt, dass auch der erhöhte Genuss von Flüssigem bei Lutter & Wegner (die auch den Grabstein gestiftet haben) eine Rolle gespielt habe.

Weiter geht es zum namenlosen Grab. Eine Legende sagt, dass der dort liegende Mann die Ehe nicht sehr ernst genommen habe und oft fremd gegangen sei. Seine Frau hat ihm dennoch ein wunderschönes Standbild von Lürssen fertiglassen, in dem ein lebensgroßer Friedensengel eine Tür aufstößt. Einen Namen hat sie jedoch nicht auf das Grab setzen lassen. Lürssen selbst liegt ebenfalls auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor.

Für Satire war Adolf „Brennglas“ Glasbrenner zuständig, dem man den Schalk noch im Portraitmedaillon ansieht. Genau wegen diesem musste er auch Berlin verlassen und ins Asyl gehen.

Der Milieumaler Kurt Mühlenhaupt hat nicht nur seinen eigenen Grabstein gestaltet, sondern auch die seines Bruders und seiner Schwester.

Zum Abschluss erhalte ich einen Einblick, wie schnell es bergab gehen kann: Leopold Wölfing, einst Großherzog von Österreich, hatte einen Hang zu Damen aus dem Rotlichtmilieu, die er durch Heirat „ehrenwert“ werden ließ. Dies brachte ihm jedoch den Verlust seines Titels und die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt in einer Berliner Fleischfabrik zu verdienen, ein. Interessant ist, dass seine Schwester auch Mann und Kinder verließ, um mit dem Gesangslehrer durchbrannte. Übrigens sind beide Vorfahren der fernseherprobten Prinzessin Xenia von Sachsen.