Budapester, Baujahr 1997, Hersteller: Heinrich Dinkelacker

Wir schreiben das Jahr 1997. Meine Deichmanns waren mal wieder durch. So konnte das nicht weitergehen. Früher war das anders. Da hatte man ein paar „gute“ Schuhe. War die Sohle abgelaufen, warf man die Treter nicht weg. Man brachte man sie zum Schuster. Und man war wieder mobil. Wenn man ordentlich putzte hielt sowas 20 Jahre und länger. Das ernährte den Schuster, der heute gelangweilt den roten Mister Minit-Kittel trägt und schlechte Schlüssel schleift. Und das schonte die Umwelt lang bevor das Wort „Nachhaltigkeit“ zur Geschäftsberichtsphrase wurde. Außerdem war es gut für die Füße, weil sich Schuhe damals noch dem Fuß anpassten und nicht andersherum. Sowas wollte ich haben.

Otto Bruns und der Reich-Ranizki klassischer Herrenfußbekleidung
Daher konsultierte ich das Schuhhaus meines Vertrauens – Otto Bruns in Gelsenkirchen. „Gute Schuhe“, eröffnete ich das Gespräch, „gibt es sowas noch?“ Herr Neuhaus, der Reich-Ranitzki klassischer Herrenfußbekleidung in Gelsenkirchen, musste nicht lange überlegen. „Selbstverständlich“, konterte er und zauberte mit geheimnisvollem Lächeln eine weinrote Kiste aus den Tiefen seines Tresors hervor. Erwartungsvoll öffnete ich den weinroten Deckel. Die Kiste enthielt zwei … weinrote Filzsäcke. Verschlossen mit einer weinroten Kordel und einem messingfarbenen Metallkügelchen. „Dinkelacker“, flüsterte Herr Neuhaus und im Laden schien es still zu werden. Leichter Weihrauchduft stieg in meine Nase. In der Ferne erklang eine Kirchenorgel. Ich öffnete Sack 1 mit der gebührenden Vorsicht und hielt ihn in der Hand. Den guten Schuh. Schwer wie eine Panzersperre. Mit Budapester Lochmusterung. Und einer klaren olfaktorischen Präsenz aus den Herznoten „Leim“ und „dickes Leder“.

Poldi fecit
„Wieviel?“, fragte ich. „Poldi“ – flüsterte Herr Neuhaus. „Wie?“ fragte ich verwirrt. „Poldi hat ihn gemacht. Er sitzt einen ganzen Tag an einem Paar, bestes Leder, unzerstörbar – schauen Sie mal rein!“ Er meinte den Schuh. Und wirklich. Auf dem Innenleder hatte „Poldi“ seinen Schriftzug hinterlassen. Schwungvoll hatte er das helle Leder mit seinem Namen versehen. So wie Mozart in seinen Werken – oder der GröFaZ in seinen Tagebüchern. „Der Preis“, so Herr Neuhaus, „spielt keine Rolle. Wie fühlen sie sich an?“ „Sehr gut“, musste ich zugeben und lief vorsichtig vor dem dazu bestimmten Spiegel auf und ab. „Wieviel?“, fragte ich noch einmal. „Sie wollten doch ein paar gute Schuhe?“, „Ja“, „Poldi arbeitet einen ganzen Tag dran. Der Preis spielt keine Rolle!“ Vor meinem geistigen Auge sah ich Poldi in seiner zugigen Budapester Werkstatt vor einem blinden Fenster mit Spinnweben dickes Leder schneiden und mir wurde klar: Der Preis spielte keine Rolle. Hier ging es um mehr, als nur ein paar Schuhe.  An der Kasse stellt ich dann fest, dass Poldis rote Kiste mich in etwa den Gegenwert sämtlicher Schuhkäufe der letzten acht Jahre gekostet hatte. Ich schnappte nach Luft. „Warum?“, keuchte ich. „Poldi“, flüsterte Herr Neuhaus, „Ein ganzer Tag Arbeit, bestes Leder, unzerstörbar.“ Stimmt ja.

Das Wohl der ungarischen Werktätigen
Den Beutel mit der weinroten Kiste vorsichtig vor mir hertragend verließ ich Otto Bruns und Herrn Neuhaus. Poldis Schuhe stellte ich vorsichtig in einen abgedunkelten und gut belüfteten Raum. Getragen habe ich sie seitdem nicht, dafür sind sie zu kostbar. Poldi hat schließlich einen ganzen Tag Arbeit reingesteckt. Trotzdem kaufe ich jedes Jahr ein weiteres Paar. Ich bin sehr zufrieden damit. Bestes Leder – unzerstörbar. Vielleicht hat Poldi sich durch mein Engagement zwischenzeitlich sogar neue Fensterscheiben geleistet und blickt beim Leimen seiner Schuhe weit über Buda und Pest. Es sei ihm gegönnt. Ich für meinen Teil habe jedenfalls massenweise gute Schuhe UND ein ruhiges Gewissen. Aber ich muss dringend mal wieder zu Deichmann.

Ein Gedanke zu „Budapester, Baujahr 1997, Hersteller: Heinrich Dinkelacker

  1. Marko den Elsen

    Eine herrliche, erfrischende Geschichte, die in Budapest selbst wohl NOCH TEURER geworen wäre.
    Dort tarnt sich Poldi dann hinter milchigen, alten Fenstern mit Spinnweben und Staub drum rum, die Fenster in ca 200 Jahren so sammeln können.
    Beste Grüße aus Mülheim an der Ruhr,
    Marko den Elsen

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