Laterne, Lahaterne!

Nachdem Anne über die rheinländischen Sitten zu St. Martin berichtet hat, erzähle ich mal aus dem Ruhrgebiet. Genauer aus Bottrop, schliesslich ist der Pottmensch streckenweise etwas eigenwillig und so könnten schon die Gelsenkirchener Bräuche grundverschieden zu denen der Bottroper sein.

Befragung von Zeitzeugen

Da ich zwar mittlerweile ein hervorragendes Gedächtnis habe, dies aber anscheinend dem Umstand geschuldet ist, dass ich meine gesamte Kindheit verdrängt habe, habe ich eine Zeitzeugin befragt: Meine Mutter. Die hat nebenbei noch ein paar ihrer Kindheitserinnerungen zum Besten gegeben, die sich wiederum auf das Rheinland (Bonn-Oberkassel) beziehen. Der rheinische St. Martin 35 Jahre ante Anne Schüßler. Man wird sehen lesen, dass sich in dieser Zeit im Rheinland nicht viel geändert hat.

Die Laterne

Genug der Vorrede. Vor St. Martin wurden erst einmal Laternen gebastelt. Im Kindergarten in Zusammenarbeit mit den Eltern, in der Schule in Eigenregie. Ich habe keine Ahnung, wie meine erste Laterne oder eine der folgenden aussah. Ich weiss nur, dass ich immer diese Batteriefunzellampenstöcke hatte, die zielsicher im ungünstigsten Moment ausgegangen sind. Meine Mutter hatte übrigens – wie Anne 35 Jahre später – Kerzen in der Laterne. Dank dieser und der Größe des Oberkasseler Martinszugs (Volksschule und Gymnasium!) sei die Feuerwehr immer sehr beschäftigt gewesen. Unsere Laternen hatten auch ihre Tücken – bei nur geringstem Wind knallten die Laternen von den Stöcken und landeten auf dem Boden.

Der Umzug

Mit der Laterne ging man beim Umzug mit. Der endete bei uns immer an der Wagenfeldschule. (Ich stelle gerade fest, dass die jetzt Astrid-Lindgren-Schule heisst. Das finde ich sehr schön.) Vorneweg ritt St. Martin. Ich war auch einmal St. Martin. Im Vorfeld malte ich mir aus, wie ich hochherrschaftlich auf einem Pferd den Laternenschwingenden Kindern voran ritt (schliesslich hatte ich schon zweimal auf einem Ponyhof Reiterferien gemacht). Die Realität sah anders aus: Auf einem Ackergaul, um den ich kaum meine Beine bekam, zockelte ich, unbeachtet von der Meute, dafür am Strick geführt vom Besitzer des Pferdes.

Das Feuer und das Spiel

An der Schule angekommen, brannte das Martinsfeuer und die Geschichte des heiligen Martin wurde aufgeführt. Als Insider kann ich sagen: Klettverschluss im Mantel und ein Holzschwert. Nach der Aufführung konnte man für vorher erworbene Wertmarken Brezeln holen. Aus dem gleichen Teig wie Milchbrötchen, nicht Laugenbrezel. Stutenkerle (die mit der Pfeife, die übrigens einen Bischofsstab symbolisiert) gab es nicht. Die holte meine Mutter immer vom Bäcker. Dann stand man noch ein bisschen am Feuer, bevor es zum Singen los ging. Zur Zeit meiner Mutter wurde vor St. Martins fürs Feuer gesammelt und man konnte alles abgeben, auch alte Matratzen. War ja damals noch kein Plastik drin. Dadurch war das Feuer auch riesig und befand sich im Steinbruch.

Das Singen

Das „dotzen“ (das ist wieder rheinisch) haben wir Kinder immer alleine gemacht. Vermutlich aber auch immer in der Nähe des eigenen Hauses. Auf jeden Fall haben wir nur bei Leuten geklingelt, die wir kannten, da hat man dann auch sicher was bekommen. Bei meinen Eltern stand immer eine große Schale an der Tür, in der aus Servietten und Geschenkband gebastelte kleine Päckchen mit Süßigkeiten waren. Davon hat jeder Sänger eins bekommen. Gesungen haben wir eigentlich die selben Lieder wie Anne, „Laterne, Laterne„, „St. Martin“ und „Ich geh mit meiner Laterne„. Ich kenne auch noch „Hier wohnt ein reicher Mann…„, aber wohl eher aus den Erzählungen meiner Mutter als aus eigener (Sing)Erfahrung. Gesungen wurde laut, schief und inbrünstig. Hatte ja eh (bis auf St. Martin) alles nur eine Strophe und man hat gesungen, bis die Süßigkeiten gegeben wurden.

Wir wolltens noch mal wissen

Als wir eigentlich schon zu alt zum singen waren (geschätzt um die 13), wollten wir es noch einmal wissen. Mit vier Mädels stellten wir uns auf der Tannenstraße vor der Bude von Frau Donnerbauer auf  und sangen unser gesamtes Repertoir ab. Vielleicht hatten wir auch eine Laterne dabei. Frau Donnerbauer hörte sich alles an und überhäufte uns anschliessend so mit großen Süßigkeitentüten, dass wir unser Tagesziel erreicht hatten.

Rabimmel, rabammel, rabumm

Im nächsten Jahr schnappe ich mir auf jeden Fall ein Teelicht und klingel bei Schüßlers. Dann erzähle ich Anne meine Laterne wäre abgebrannt und verlange einen Lebkuchen.

Ich habe mir sagen lassen, die Technik ist heute noch weiter – man läuft mit LED-Laternenstöcken. Um zu erfahren, wie man in der Neuzeit in Hamburg St. Martin begeht, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an die Familie Buddenbohm (2009, 20102011, 2012).

Artikelbild: Der heilige Mann und der Bettler von El Greco (Ausschnitt)

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