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Americana-Album der Woche (7) – Lori McKenna: Lorraine

Hierzulande ist die aus Boston stammende Singer/Songwriterin nahezu unbekannt. Dass sie aber zur Crème de la Crème der Songwriterzunft (in Nashville) gehört, steht auf einem anderen Blatt. „Lorraine“, 2011 auf Signature Records erschienen, ist ihr sechstes Album, das sie ihrer Mutter gewidmet hat. Lori McKenna (1968 geboren) war sieben als sie starb. Die tief in die Seele gebrannten Kindheitserinnerungen inspirierten sie zu diesem Album. Mühelos knüpft es an die Vorgänger an und legt die Latte wieder ein wenig höher. Von Beginn an zieht die Geschichtenerzählerin ihre Zuhörer in einen Bann, denn Lori McKenna schaut genau hin und weiß intuitiv, worin das Außergewöhnliche und Abseitige im Alltag zu finden ist. Autobiographisch inspirierte Balladen natürlich, mit Verve und Energie instrumentiert, mal zerbrechlich, mal wütend, mal mit einer Brise Humor. Gegossen in ein verhalten und dennoch kraftvoll instrumentiertes Korsett aus akustischen und elektrischen Gitarren, Mandoline, Cello, Bass, Schlagzeug, Percussion und Keyboards, angereichert durch feinfühlig gesetzte Harmony Vocals, hinterlassen die 13 Songs Gefühlswallungen zwischen Resignation, Innehalten und Aufbruch. Einen Song besonders hervorzuheben fällt schwer, denn jeder ist es wert, aufmerksam gehört zu werden. Gleichwohl: „American Revolver“ ist die Geschichte einer von ihrem Ehemann missbrauchten Ehefrau, die über seinen baldigen Tod nachsinnt.
Lori McKenna ist eine Entdeckung für alle, die jenseits der konventionellen Singer/Songwriter-Kost einen ungetrübten Blick auf den amerikanischen Lebensstil erhaschen wollen – mit einem lachenden und einen weinenden Auge. Viel Spaß beim Entdecken!

Weitere Informationen unter: http://www.allmusic.com/artist/lori-mckenna-p360793
http://lorimckenna.com/
Lori McKenna – How Romantic is That? (2007)

Americana-Album der Woche (6) – Alison Krauss and Union Station: Paper Airplane

Sieben Jahre ist es her, seit dem das letzte Album von Alison Krauss and Union Station erschienen ist und den ausweglosen Titel „Lonely Runs Both Ways“ (2004) trug.  Die wunderbar betörende Melodie des Openers „Gravity“ blieb im Ohr und fand seine Steigerung in der Kollaboration „Raising Sand“ (2007) zwischen der Ausnahmesängerin und -geigerin und dem Led Zeppelin-Urgestein Robert Plant. Auch die anderen Saitenvirtuosen (Barry Bales – Acoustic  Bass, Jerry Douglas – Dobro/Weissenborn/Lap Steel, Dan Tyminski – Gitarre/Mandoline, Ron Block – Banjo) waren nicht minder aktiv und pflegten ihre Side- und Soloprojekte.  

„Paper Airplane“ knüpft lückenlos an seinen Vorgänger an, auch wenn die Band gereift ist. Die handverlesenen Songs, ob neu geschrieben oder klug adaptiert, werden in einem luftigen Gewand dargeboten, das Raum zum Atmen lässt: kein Solo zu lang, kein Ton zu viel, die Harmony Vocals dezent gesetzt. Aufgeräumt und trotzdem intensiv: Dass hier fünf eigensinnige und feinfühlige Musiker zusammen spielen, ohne sich gegenseitig den Schneid abzukaufen, unterstreicht den Ausnahmestatus dieser Band. Obwohl hier sehr viel Routine mit im Spiel ist, wirkt das Album wie aus einem Guss und nimmt den beseelten Zuhörer unaufdringlich mit, den nachdenklichen, manchmal traurigen Geschichten zu folgen. Alison Krauss and Union Station ist zurück, obwohl die Band mit ihrem unverwechselbaren Acoustic Americana Bluegrass Sound ja nie wirklich weg war. Im Sommer 2009 spielten sie auf Einladung von Barack Obama gar im Weißen Haus und zelebrierten eindrucksvoll, was für sie zeitgenössische Country Music bedeutet: meilenweit entfernt von dem Country-Pop einer Taylor Swift. So hätte das Album auch den Titel  „No Concessions“ tragen können. Anspieltipp: My Opening Farewell, geschrieben von Jackson Browne. Wenn das mal nicht der Anfang vom Abschied von dieser wunderbaren Combo bedeutet…

Alison Krauss – Paper Airplane 2011.04.13 Letterman

Americana-Album der Woche (5) – Johnny Cash: Bootleg, Vol. 2: From Memphis to Hollywood

Nach den posthum veröffentlichten American Recordings-Alben „A Hundred Highways“ (2006) und „Ain’t No Grave“ (2010) folgt mit „From Memphis to Hollywood“ (Vol. 2) ein wahrer Leckerbissen für Fans und Neuentdecker. Wer Cash noch nicht kennt, lernt ihn während seines Auftritts mit den Tennessee Two (Luther Perkins an der E-Gitarre und Marshall Grant am Bass)  als beflissenen Werbeansager für eine „Home Equipment Company“ in Memphis während einer gesponserten Radiosendung kennen und bekommt somit eine Ahnung, warum Cash bereits Mitte der 50er Jahre  mit nahezu allen Finessen versehen war, um Country, Rock’n’Roll, Rockabilly und Blues in jene unverwechselbare Chick-A-Boom-Melange zu gießen, die bis heute Bestand hat.   Weiterlesen

Americana-Album der Woche (4) Matraca Berg – The Dreaming Fields

Oft fragt man sich, warum man am falschen Ort zur falschen Zeit ist. Diesmal war ich am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Nämlich in Nashville, im Station Inn, am 26.5.2011, 21 Uhr.  Rund 14 Jahre sind vergangen, nachdem ihr letztes Album „Sunday Morning to Saturday Night“ floppte und sich die Ausnahmesängerin aufs Songschreiben konzentrierte. Matraca Berg stellte vor Familie, Freunden und Fans ihr neues Album „The Dreaming Fields“ vor. Das innige  „Station Inn“, neben dem Blue Bird Cafe „der“ Club in Nashville für handgemachte Musik, erlebte einen Abend voller Vibrations und Gänsehaut. Begleitet von Sideman-Legende Dan Dugmore (Pedal Steel Guitar, E-Gitarren), David Henry (Cello, Backing Vocals), Gretchen Peters und Suzy Bogguss (Backing Vocals) demonstrierte Matraca Berg (Akustikgitarre, Mundharmonika) trotzig und anmutig ihre Songwriter-Kunst. Die Dichte und Atmosphäre ihrer Songs, die zurückhaltend instrumentierten Geschichten – selten habe ich bei einem Konzert jeden einzelnen Ton so genossen. Jeff Hanna, Ehemann und Kopf der Nitty Gritty Dirt Band, gesellte sich hin und wieder hinzu und zu guter Letzt reihte sich auch noch Kim Carnes mit ihren unverkennbaren Harmony Vocals ein. Das Album, bei Dualtone erschienen, vereint 11 großartige Songjuwelen, die sie größtenteils mit anderen Wegbegleitern geschrieben hat. Was ihre Songs so außergewöhnlich machen, sind die überraschenden Phrasierungen, die kurz ins Mark stechen und ihre Spuren hinterlassen, sind die markanten Lyrics, die für immer und ewig im Kopf schwirren. Ob „South of Heaven“ als Kommentar zum Afghanistan-Krieg oder der Abschiedssong „The Dreaming Fields“ – Berg berührt und kratzt die Seele wie kaum eine andere. Das gilt mit Nachdruck für „Oh Cumberland“, geschrieben vor unendlich langer Zeit auf dem LA Freeway, wo nach frustierenden Studiosessions im Jahre 1992 ihr Heimweh so groß wurde  und sie den anrührendsten aller Heimweh-Songs der Ewigkeit überlassen hat.  

Oh Cumberland (Matraca Berg feat. Nitty Gritty Dirt Band)

South of Heaven (Matraca Berg, Gretchen Peters, Suzy Bogguss

Von morgen an bis zum 22. Juni ist Matraca Berg auf Tour durch das Vereinigte Königreich. Wer noch nichts besseres vorhat, und das ist schwerlich vorzustellen, dem sei der Trip auf die Insel empfohlen. Immerhin spielt sie am 21.6. in der Queen Elizabeth Hall in London. http://www.matracaberg.com/tour/  Nach Deutschland kommt sie nicht. Schade!

Americana-Album der Woche (2) Kathleen Edwards – Asking For Flowers

Asking For Flowers, bereits 2008 erschienen, gehört zu jenen Alben, die sich bei jedem weiteren Hören mehr und mehr erschließen und in das emotionelle Gedächtnis des Zuhörers einweben. Die kanadische Songschreiberin und Sängerin mit ihrer kraftvoll zerbrechlichen Stimme entwirft mit ihrem dritten Album ein Breitbandepos atemberaubender Gefühle und menschlicher Abgründe. Ihre Geschichten, eingebettet in einen originären Bandsound  (E-Gitarre, Pedal Steel, Schlagzeug/Percussion, Bass, Klavier, Orgel) reichen von den  Enttäuschungen des Alltags bis hin zu Themen sozialer Ungerechtigkeit (Oh Canada). Ein Song, der sich auf immer in der imaginären Top Ten verewigt hat: Alicia Ross. Die wahre Geschichte der 25-jährigen Kanadierin, die August 2005 von ihrem langjährigen Nachbarn nach einem Streit auf grausame Weise ermordet und in einem Gebiet nördlich von ihrem Haus vergraben wurde, entführt den Zuhörer Stück für Stück in die surreal anmutende Welt der Banalität des Bösen. Aus der Ich-Perspektive der Getöteten beschreibt Kathleen Edwards  minutiös ihre letzten Gedanken und beginnt mit: „I am a girl with a forgettable face, no matter my color, no matter my name…. Die fünf Wochen dauernde Suche nach dem plötzlichen mysteriösen Verschwinden beschäftigte wie kaum ein anderer Fall die kanadische Öffentlichkeit. Nach einem weiteren über die Medien verbreiteten Appell der Stiefmutter meldete sich eine Woche später Alicia Ross‘  Nachbar Daniel Sylvester mit seinem Anwalt bei der Polizei und führt sie zu deren Überresten.  Bei der Gerichtsverhandung gab er an, es kam vor dem Haus zu einem Streit und sie hätte ihn als „Loser“ beschimpft. Daraufhin verlor er die Beherrschung und schlug ihren Kopf auf den Bürgersteig, bis sie tot war. Mehr als 1500 Menschen nahmen in der Beth Emeth Bais Yehuda Synagogue in North York  Abschied von ihr. Der Song endet mit der Zeile: „Now I’m a girl whose face they’ll never forget.“ Daniel Sylvester wird zu lebenslänglich verurteilt. Totschlag das Gerichtsurteil.  Kathleen Edwards – Alicia Ross

Americana-Album der Woche (1): Buddy Miller’s The Majestic Silver Strings

Was herauskommt, wenn Sideman of the Year (Rolling Stone) Buddy Miller einige Musikanten in seine  vier Wände einlädt, demonstrieren eindrucksvoll die 13 Songs des durchweg gelungenen Albums. Bill Frisell, Marc Ribot, Greg Leisz und Buddy Miller an den Saiten, mal elektrisch, mal akustisch, mal eine Brise Pedal Steel, führen traumwandlerisch und irritierend schön durch eine handverlesene Auswahl amerikanischer Klassiker. Mit Jay Bellerose (Schlagzeug) und Dennis Crouch (Bass) ist ein Americana-Soundtrack besonderer Güte entstanden. An vier Tagen im Januar 2010 auf einer 16-Spur-Bandmaschine aufgenommen, entführen die elegisch-betörenden Songs in eine  Nische amerikanischer Musik, die hierzulande nur wenig Beachtung findet. Vor allem sind es die wunderbaren Gaststimmen, die den Songs einen besonderen Stempel aufdrücken: Emmylou Harris, Patty Griffin, Ann McCrary, Marc Anthony Thompson, Julie Miller, Lee Ann Womack und Shawn Colvin. Anspieltipp mit hohem Gänsehautfaktor:  „That’s The Way Love Goes“ von dem unvergessenen Lefty Frizell, intepretiert von Shawn Colvin.  Die beigefügte 22-minütige DVD gewährt intime Einblicke in diese außergewöhnliche Produktion und macht Lust auf mehr.

http://www.youtube.com/watch?v=DDM6nnDdJ4U